Wie löse ich einen Konflikt, bei dem am Ende beide Seiten als Gewinner da stehen?
Wenn bei einem Streit die Fetzen fliegen und die Emotionen am überkochen sind, wollen wir natürlich als glorreicher Sieger vom Feld ziehen. Den Gegner besiegt und die eigenen Interessen durchgeboxt. Dass hinter jedem Streit enttäuschte Erwartungen und dahinter wiederum Bedürfnisse stecken, haben wir ja bereits im letzten Artikel gelernt. Doch hast du dir mal Gedanken gemacht, wie es in deinem Gegenüber aussieht?
Wenn du Konflikte lösen möchtest, musst du deinen Gegner kennen
Vermutlich nicht, denn die aufwühlenden Emotionen machen einen zunächst blind für die Ansichten des Gegenübers. Total verständlich, schließlich ist er ja eindeutig ein Arsch. Doch wie schaffen wir es, in so einem Moment einen Konflikt zu lösen? Wie wir uns emotional aus diesem Irrgarten befreien können, wissen wir ja bereits, doch wie gelingt uns anschließend die Meisterleistung, für beide Seiten einen Gewinn rauszuholen?
Wie schaffe ich eine Win-Win Situation?
Ganz einfach, durchlaufe zunächst einmal die 3-Schritte-Formel , damit du dich emotional wieder gefangen hast und das Geschehen dissoziiert betrachten kannst. Dann konzentriere dich auf dein Gegenüber. Auch hierbei ist die 3-Schritte-Formel notwendig, um einen Konflikt zu lösen.
1. Erkenne die Emotion deines Gegenübers. Ist er nur wütend und zornig, oder erkennst du vielleicht auch Traurigkeit, Hilflosigkeit, Verletzlichkeit, Unsicherheit oder Angst? Wenn du Konflikte lösen möchtest, dann versetze dich in die Gefühlswelt deines Gegenübers.
2. Genau wie du hatte vermutlich auch dein Gegenüber eine bestimmte Erwartung, die enttäuscht wurde. Welche könnte das sein? Dieser Schritt soll dich für deinen Gegner sensibilisieren, nicht deine Interpretations-Künste heiß laufen lassen. Die eigentliche Lösung ist ganz einfach, erfordert aber Mut. Frag ihn nach seinen eigenen Erwartungen – und wenn er das als Angriff interpretiert, erkläre ihm, warum du danach fragst. Auch hier gilt wieder: Wenn du Konflikte lösen möchtest, dann verstehe, welche Erwartungen hinter all dem stecken!
3. Um welches Bedürfnis geht es hier eigentlich? Was ist ihm eigentlich wichtig? Frag auch hier einfach nach. Wenn dir die direkte Frage zu blöd ist, beziehe in die Frage deine Interpretation mit ein, biete ihm etwas an. Gerade, wenn dein Gegenüber noch nicht mit solchen Techniken vertraut ist, ist er schnell von einer Frage auf der Meta-Ebene überfordert, fühlt sich bedrängt und reagiert mit Angriffen, um sich zu schützen. Es wird ihm helfen, deine Absichten zu verstehen, wenn du mit gutem Beispiel voran gehst, um anschließend eine Win-Win-Situation zu schaffen.
4. Bedenke, dass dein Gegenüber seine Emotionen gegebenenfalls noch nicht so schnell in den Griff bekommen hat wie du. Um zu zeigen, dass deine Fragen keine weiteren Angriffe sind, frage ihn zunächst einmal, ob er an einer Schlichtung interessiert ist. Damit das nicht als Provokation interpretiert wird, fange dann auch hier erst einmal bei dir selbst an. Benenne dein Gefühl und die damit verbundene enttäuschte Erwartung und erkläre ihm dein eigenes Bedürfnis. Mache ihm dann klar, dass du ebenso interessiert daran bist, welche seine Bedürfnisse sind! Das schafft das nötige Vertrauen, damit auch er offen und ehrlich antworten kann. Nur so könnt ihr beide eure Konflikte lösen.
5. Können eure Bedürfnisse eventuell auch auf andere Weise erfüllt werden?
Hier ein Beispiel, wie man auf elegante Art Konflikte lösen kann:
Sonntags liegt noch eine Orange in der Küche und sowohl Paula als auch Paul wollen sie haben. Jeder hat gute Gründe dafür, kennt die des jeweils anderen aber nicht. Da jeder darauf besteht, die letzte Orange für sich zu beanspruchen und sie ganz dringend braucht, kommt es zum Streit. Beide sind so aufgebracht, dass sie einfach stur auf ihr Recht bestehen und gar nicht reflektieren, warum sie eigentlich so dringend die Orange für sich beanspruchen. Können Sie ihre Konflikte lösen?
Paul | Paula | |
---|---|---|
Gefühl | verletzt, wütend | hilflos, ängstlich, zornig |
Erwartung | Die letzte Orange gehört mir, ich habe bereits gestern gesagt, dass ich sie heute zum Backen brauche. | Die Orange steht mir zu, ich habe starke Halsschmerzen und mit der Orange geht es mir besser. Und es ist doch total wichtig, dass ich Vitamine bekomme, um gesund zu werden! |
Bedürfnis | Gerechtigkeit und Wertschätzung der eigenen Bedürfnisse | Fürsorge, Mitgefühl, Wertschätzung des eigenen Wohlbefindens |
Na, fällt dir etwas auf? Die Erwartungen sind völlig unterschiedlich, aber die Bedürfnisse liegen nicht so weit auseinander. Und man erkennt auf einen Blick, dass die Bedürfnisse der beiden auch von einer anderen Person erfüllt werden könnten. Geht es hier wirklich um die Orange? Nein, es geht nie nur um die Orange!
Vielleicht fällt dir spontan schon eine Lösung ein?
Wenn Paul beispielsweise von Paulas Halsschmerzen erfährt und erkennt, dass Paula sich nicht ernst genommen und gewertschätzt fühlt, weil sie glaubt, dass Paul das Backen wichtiger sei als ihre Gesundheit, dann kann er das Verständnis für Paulas Bedürfnis aufbringen und fühlt sich in seinem eigenen Bedürfnis nach Wertschätzung nicht mehr angegriffen. Er kann ihr nun eine Alternative bieten, beispielsweise indem er ihr eine Hühnerbrühe anbietet, die unter Umständen besser hilft als die Orange. Nur eine Variante, um ihre Konflikte lösen zu können.
Verständnis für dein Gegenüber und die Aufdeckung des eigentlichen Bedürfnisses ermöglichen Lösungen, weil man einfach mehr Ansatzpunkte bekommt, um den bestmöglichen Kompromiss zu finden. Und oft genug finden sich hintergründige Bedürfnisse, die mit dem eigentlichen Streitpunkt gar nicht unmittelbar zu tun haben. Es kann dann schnell dazu kommen, dass sich sogar die Bedürfnisse beider Seiten befriedigen lassen, ohne sich gegenseitig zu blockieren – eine Win-Win-Situation, ermöglicht durch den ausführlichen Austausch und die Erforschung der jeweiligen Bedürfnisse. Konflikte lösen, leicht gemacht. Vorausgesetzt natürlich, beide sind dazu bereit. Es ist sehr hilfreich, diese Bereitschaft vorher zu erfragen. Kann ein Streit einen mehr zusammenschweißen? Wenn er so positiv endet: Ja, definitiv!
COACHING-ÜBUNG
Die Win-Win Situation – Wie du einen Streit für beide gewinnen kannst
Rufe dir eine Streitsituation aus der Vergangenheit, bei der es nur einen Sieger gab, ins Gedächtnis und fühle dich in die Situation ein. Nimm dir Stift und Zettel und fülle die 3-Schritte-Formel erst für dich aus und danach für deinen Streitpartner. Bei dieser Übung ist es überhaupt nicht schlimm, wenn du mit deinen Interpretationen nicht hundertprozentig ins Schwarze triffst. Wichtig ist nur, dass du ein Gespür für dein Gegenüber bekommst und erkennst, dass er auch nur ein Mensch mit Emotionen und Beweggründen ist.
Je tiefer du dich hineinfühlst, desto mehr Beweggründe kommen dir in den Sinn und plötzlich siehst du glas klar, wie du die Konflikte lösen lannst. Je mehr Beweggründe du erkennst, desto mehr Lösungsansätze fallen dir ein. Je mehr Lösungsansätze du findest, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich einige davon miteinander vereinen lassen und beide Parteien zu Gewinnern machen.
Alternativ kannst du dir deinen Streitpartner schnappen und ihn bitten, das Szenario eines vergangenen Streits noch einmal durchzuspielen und nachträglich mit den erlernten Schritten eine Win-Win-Situation zu finden – so lernt dein Streitpartner gleich mit, was künftige Auseinandersetzungen sehr positiv beeinflussen wird!
Diese Übung erweitert nicht nur deinen Horizont, sondern macht dich auch sensibler für Lösungsmöglichkeiten, um Konflikte lösen zu können. Je öfter du sie wiederholst, desto leichter wird es dir in einer Streitsituation fallen, geile Lösungen rauszupowern.